#17 Typomanie und Bushidō
Alles ist fertig, es muss nur noch gemacht werden
Andreas Pflüger und Erik Spiekermann über Typomanie, Arbeitsethos, Rhythmus und Form, den Bushidō, die Abwesenheit von Licht, Schwarzbrot und Schnapstrinken und ihre Zusammenarbeit.
Niemals von Andreas Pflüger war nach seinem Endgültig nicht nur das zweite Buch im Hauptprogramm des Suhrkamp Verlages, bei dem statt „Roman“ die Bezeichnung „Thriller“ auf dem Cover steht. (Siehe dazu auch Alf Mayer im Freitag: „Genre is in the House“, sowie sein großes CrimeMag-Interview.) Niemals ist auch das erste Buch – und dies nicht nur bei Suhrkamp –, bei dem ein Autor und ein Gestalter, beide von Weltrang, jede einzelne Zeile, ja jedes Schriftzeichen gemeinsam bearbeitet haben. Wir freuen uns, Ihnen dieses in vielerlei Hinsicht interessante Gespräch aus dem Logbuch Suhrkamp präsentieren zu können. Möge es Folgen zeitigen …
Pflüger: Meine Mutter sagte, dass ich ein seltsames Kind war. Wenn sie mir vor dem Einschlafen aus Kinderbüchern vorgelesen hat, soll ich sie ihr bisweilen aus der Hand genommen und die Qualität der Illustrationen bewertet haben. Es hätte mir nicht genügt, eine schöne Geschichte zu hören, es sei mir wichtig gewesen, dass sie ebenso dargestellt wurde. Daran erinnere ich mich nicht mehr, aber ich glaube es sofort. Bis heute kann ich kein Buch lesen, ohne das Layout zu analysieren, mich am Satz zu erfreuen oder ihn still zu zerpflücken; selbst bei der morgendlichen Zeitungslektüre ist das so. Auch Handschriften faszinieren mich. Dabei ist meine eigene krakelig und kaum zu entziffern, vermutlich hätte ich einen guten Arzt abgegeben.
Spiekermann: Ich habe mir mühsam abgewöhnen müssen, einen Text erst zu lesen, wenn ich die Schrift identifiziert hatte, aus der er gesetzt ist. Zum einen gibt es derweil zu viele Schriften, die ich nicht mehr erkenne, zum anderen hat es mir oft den Appetit verdorben, wenn er aus der unpassenden Schrift gesetzt war.
Pflüger: Das Erste, was mir bei dir immer in den Sinn kommt, ist der Schriftzug am Terminal des Düsseldorfer Flughafens. Allein die Idee, die unteren zehn Prozent des Städtenamens abzuschneiden! Du hast das, glaube ich, kurz nach dem Feuer entworfen, das dort schlimm gewütet hatte. Diese Wunde ist im Schriftzug enthalten, das ist für mich ein Geniestreich.
Spiekermann: Manchmal profitieren wir von Ereignissen, an denen wir nicht schuld sind. Das war auch nach dem Mauerfall mit der Arbeit für die Berliner Verkehrsbetriebe so. Dabei hat in solchen Fällen die Arbeit unter großem Zeitdruck den Vorteil, dass der Druck die Teams von Auftraggeber und Designer zusammenbringt. Da ist keine Zeit für Bedenkenträger, und die Ergebnisse sind entsprechend dicht.
Pflüger: Düsseldorf ist ja nur ein Beispiel. Wir sind alle von deinen Schriften und Symbolen umgeben. Die DB Informationen, die ZDF-Nachrichten, das Leitsystem der BVG, Marken wie Audi und VW und vieles mehr. Und das ist nur Deutschland. Auf subversive Weise prägt dein Design unseren Alltag.
Spiekermann: Mir gefällt es, wenn ich im Zug sitze oder in der U-Bahn und umgeben bin von den Ergebnissen unserer Arbeit. Niemand weiß, wer dahinter steckt, außer mir. Das ist so ein Rumpelstilzchen Gefühl: Es ist gut, dass niemand weiß … Es geht ja um die Sache und nicht darum, als großer Künstler in den Vordergrund zu treten.
Pflüger: Ich glaube, bei Suhrkamp waren sie vor unserem ersten Treffen ein bisschen nervös. Es war ein Experiment und nicht ausgemacht, dass wir beide eine gemeinsame Sprache finden. Ich könnte mir vorstellen, dass man befürchtete, wir würden wie zwei D‑Züge aufeinander zurasen und die Splitter würden bis in die Pappelallee fliegen. Aber ich war ganz gelassen und voller Vorfreude. Du nennst dich ja selber einen »Typomanen«. Es ist das Wort, das ich immer für mich selbst gesucht habe. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass Menschen, die für etwas brennen, einander achten.
Spiekermann: Deshalb hatte ich keine Angst vor dem Treffen. Menschen, die so denken wie du, verstehen, dass es Anderen auch so gehen kann, und sind bereit, sich darauf einzulassen. Eine ganz einfache Frage des Respekts.
Pflüger: Ich weiß noch, wie ich bei euch reinkam, das ist ja bei mir um die Ecke, und die vielen Kästen mit Lettern sah. Es roch nach Öl und altem Mauerwerk und hochgekrempelten Ärmeln, und eure uralte Heidelberg-Druckmaschine machte ordentlich Krach. Da werde ich zum Kind. Das Anfassen, Riechen, Hören fehlt mir am Schreibtisch; darum beneide ich dich. Ich besitze viele Blei- und Buntstifte in allen Farben und umgebe mich damit, aber nicht, weil ich sie für meine Arbeit brauche, das ist ja alles digital. Nur finde ich es einfach wunderschön.
Spiekermann: Deshalb mache ich das. Bin ja offiziell im Ruhestand. Aber nach 30 digitalen Jahren wollte ich mal wieder was in die Hand nehmen. Damit bin ich nicht alleine, sondern nur dem Trend etwas voraus.
Pflüger: Zunächst einmal mochtest du Niemals. Das war schon wichtig. Ich weiß nicht, ob wir so hätten harmonieren können, wenn du gesagt hättest: »Das Buch ist nicht mein Ding, aber da stehe ich drüber.«
Spiekermann: Mein Motto ist ja: »Arbeite nicht mit Arschlöchern und arbeite nicht für Arschlöcher.« Ich hätte mir nicht diese Mühe gemacht für einen Text, den ich doof finde. Und nicht mir dir gearbeitet, wenn ich dich doof gefunden hätte. Das Gegenteil war der Fall, und eigentlich hätten wir uns schon lange kennen müssen.
Pflüger: Es ging mir dabei gar nicht so sehr um die Anerkennung, die jeder Autor sucht und genießt. Ich muss mich mit meiner Arbeit einem Diskurs stellen, das beinhaltet immer auch Kritik. Nur bin ich der Überzeugung, dass die erzählerische Kraft eines Textes nicht allein aus der Sprache erwächst, dem, was ich die »innere Form« nenne. Nein, sie hängt auch von der »äußeren Form« ab: der Gestaltung. Rhythmus ist das Zusammenwirken des Äußeren und des Inneren. Nur wenn beides übereinkommt, ist das Werk gelungen. Und deshalb war es wichtig, dass du dich diesem Rhythmus überlassen wolltest. Übrigens widerspreche ich dem ansonsten von mir geschätzten Ferdinand de Saussure, der sagte: »Geschriebene Formen verdunkeln unsere Sicht der Sprache. Sie sind weniger ein Kleidungsstück als eine Verkleidung.« Au contraire: Nur das, was auf dem Papier steht, ist wahr. Beim Schreiben streift der Autor jede Verkleidung ab. Wenn er kein Feigling ist.
Spiekermann: Richtig. Schrift ist ja nichts anderes als sichtbare Sprache. Du kannst auch auf dem Papier lügen. Aber du wirst noch schneller dabei ertappt, als wenn die Lüge nur aus deinem Mund kommt. Gedrucktes ist immer und überall nachzuprüfen.
Pflüger: Am wunderbarsten war dein Vorschlag, dass wir uns nebeneinander setzen sollten, um Hand in Hand zu arbeiten. Da haben meine Synapsen sofort gefeuert. Und im Augenwinkel habe ich den gerahmten Spruch gesehen, der bei euch an der Wand hängt: Alles ist fertig, es muss nur noch gemacht werden.
Spiekermann: Wenn ich schon das Privileg habe, mit einem Autor zu arbeiten, der meine Arbeit so schätzt, dass er sein Manuskript pingelig vorbereitet, um es dann zur Diskussion zu stellen, dann sind wir Partner und jeder kann vom anderen lernen. Das geht doch am besten, wenn wir beide in die gleiche Richtung schauen. Wir waren ja oft nur um wenige Millimeter auseinander, und es war jedesmal ein Vergnügen zu sehen, ob deine Simulation dann auch passt, oder was wir machen müssen, um sie passend zu machen. Das ging nur im unmittelbaren Dialog. Wir haben ja sogar über stilistische Dinge gestritten, nicht nur über die Form.
Pflüger: Du hast ein natürliches Sprachgefühl, das kann man nicht lernen. Mit dir zu streiten, ist manchmal auch herrlich albern. Und was meine Manuskripte angeht: Ich habe mir dazu ein eigenes Programm in Word geschrieben. Mit Makros kann ich das Layout meiner Texte so simulieren, dass sie der Idealvorstellung des endgültigen Layouts fast zu hundert Prozent entsprechen. Damit arbeite ich auch beim Drehbuchschreiben. Man könnte einwenden, dass es überflüssig ist, weil das Drehbuch ja nicht gedruckt wird. Da bin ich anderer Meinung. Ich finde, es sollte ein Vergnügen sein, ein Drehbuch zu lesen. Bei schlecht gesetzten Drehbüchern lenkt mich die äußere Form vom Inhalt ab. Mag sein, dass das außer mir niemanden interessiert. Oft habe ich jedoch von Schauspielern, Regisseuren, Produzenten gehört, dass meine Drehbücher wohltuend »anders« aussähen. Greifen kann das selten einer, die meisten denken auch nicht darüber nach, warum sie so empfunden haben. Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Gestaltung in unserem Unterbewusstsein wirkt.
Spiekermann: So eine Seite lädt mich mehr zum Lesen und Mitdenken ein als ein ungegliederter Schreibmaschinenschrieb. Es sieht nach Vergnügen aus und nicht nach Arbeit. Man klatscht einem im Restaurant ja auch nicht den Kartoffelbrei von weitem auf den Teller.
Pflüger: Wie bist du an Niemals herangegangen? Warum hast du die Schrift Lyon gewählt, die mich vom ersten Moment an angesprochen hat?
Spiekermann: Die Schrift ist eigentlich ganz normal, aber ein wenig ausdrucksstärker als die gewöhnlichen Buchschriften, die auf Modelle aus dem 16. oder 17. Jahrhundert zurückgehen. Lyon ist eine zeitgenössische Interpretation. Sie wurde lange im Magazin der New York Times verwendet und wirkt etwas schneller, gedrängter, journalistischer, als wir es von Buchschriften gewohnt sind. Deine Texte sind sehr dynamisch, intensiv und vor allem durch die vielen Dialoge geprägt. Dazu passt diese Schrift.
Pflüger: Das Schriftzeichen der Lyon, das ich am meisten liebe, ist das kursive &-Symbol. Ein Kunstwerk für sich, wunderbar altmodisch, da kann ich mich hineinfallen lassen:
Spiekermann: Ich liebe überhaupt die Kursive der Lyon. Sie ist recht schmal und kontrastreich und wirkt dadurch wie eine noch dringendere Stimme als der gewöhnlich gesetzte Text.
Pflüger: In mehreren Interviews mit dir habe ich gehört und gelesen, dass du Schrifttypen mit Brotsorten vergleichst. Schwarz- und Weißbrot. Das hat mir gefallen.
Spiekermann: Schrift soll nicht ablenken vom Inhalt. Aber ein würziger Käse wird ja nicht übertönt vom Schwarzbrot, sondern im Geschmack verstärkt.
Pflüger: Da treffen wir uns, wie so oft. Lyrik süffele ich wie einen guten Rotwein. Und Thriller sind scharf wie Schnaps, die müssen brennen.
Spiekermann: Wahrscheinlich hast du mir deshalb einen guten Schnaps zum Abschluss der Arbeit geschenkt …
Pflüger: Einen Gravensteiner Apfel von Rochelt, der einzig wahre Stoff. Wer gut arbeitet, kann auch gut Schnaps trinken, das ist immer so. Vor allem wollte ich mich bei dir bedanken, wie viel ich von dir gelernt habe. Keine Trennungen von ungeraden auf gerade Seiten (also von rechts nach links) etwa, weil man nicht mitten im Wort umblättern sollte. Oder auch, keine Namen zu trennen. Das ist mir vorher nie in den Sinn gekommen. Und jetzt wäre mir etwas anderes ein Graus.
Spiekermann: Das sind zum Teil sehr alte Regeln. Aber das Buch hat sich in seiner Form ja auch schon seit 500 Jahren kaum geändert. Ich mag Regeln, wenn sie dem Leser beim Aufnehmen und Verstehen des Textes helfen. Ein Eigenname ist kein beliebiges zusammengesetztes Hauptwort – wo will man da trennen? Nicht jeder Name ist so praktisch wie Spieker-mann. Pflü-ger geht überhaupt nicht.
Pflüger: Was mir von Anfang an gefallen hat, war die Atmosphäre bei euch, das gute Miteinander. Keiner neidet dem anderen etwas, das habe ich gleich gespürt. Man schaut sich gegenseitig über die Schulter, kommentiert den Fortschritt der Arbeit, gibt Anregungen, lacht und freut sich zusammen, wenn etwas gelungen ist. So etwas vermisse ich oft, weil ich ja als Autor ein Einzeltäter bin.
Spiekermann: Deshalb arbeite ich ja auch nicht allein zuhause (obwohl wir beide uns da auch schon zur Arbeit getroffen haben). Daheim habe ich mehr Ruhe und kann besser Ordnung halten, aber mir fehlt dann eben genau dieses Miteinander.
Pflüger: Was uns eint, ist auch die Ordnung auf unseren Schreibtischen. Ich brauche diese Ruhe, die den Blick nicht ablenkt. Du offensichtlich auch.
Spiekermann: Ich habe drei Schreibtische. Das ist mitunter verwirrend, weil natürlich auf dem einen immer das gerade fehlt, was auf dem anderen liegengeblieben ist. Zuhause ist es recht ordentlich, weil ich dort vor allem schreibe und weiter kein Werkzeug brauche. In der Werkstatt p98a liegen auch Maschinenteile rum, einzelne Bleibuchstaben, Probeabzüge, Messgeräte und viel Gedrucktes. Dort arbeiten viele Leute, ständig kommt Besuch herein und bringt was, holt was ab. Dieses Gewusel findet auf meinem Schreibtisch sein Abbild. Ich räume immer mal auf, aber das hält nur bis zum nächste Nachmittag. In San Francisco hingegen haben Susanna und ich die Garage umgebaut zu einem sehr lichten Studio. Unser gemeinsamer Schreibtisch ist riesig und aufgeräumt, weil wir beide immer nur je ein Projekt gleichzeitig in Arbeit haben und alles andere aus dem Weg nehmen, bis wir es brauchen. Ich finde so einen leeren Tisch sehr entspannend und inspirierend, kann das aber nicht überall umsetzen.
Pflüger: Wichtig ist ja nur, was am Schreibtisch entsteht. Auch aus Chaos kann Struktur erwachsen. Wir haben jedes Detail des Buches mit Bedacht gestaltet und darauf geachtet, dass alles im Einklang ist. Keine Hurenkinder, keine Schusterjungen, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Doch in den letzten Jahren hat sich diese Nachlässigkeit in die meisten Romane eingeschlichen, weil es billiger für die Verlage ist, denn der Autor muss keinen Text ändern. Das spart Zeit und damit Geld. Wir leben in einer Feudalherrschaft des Ökonomischen, und die Kunst darf sich nicht zum Büttel machen lassen. Sicher kann Suhrkamp sich dem Druck des Marktes nicht ganz verweigern. Doch das Haus hält immer noch die Fahne hoch. Das zeigt sich allein schon im profitmindernden gelben Farbschnitt der Seiten meiner Aaron-Trilogie. Es genügt nicht, einen Anspruch zu haben, man muss ihn auch dokumentieren.
Spiekermann: Jeder Verlag braucht eigentlich nur ein paar Regeln, einige gute Vorlagen und dann Leute, die das umsetzen. Schlechter Satz ist nicht billiger als guter, weil man die meisten Vorgaben automatisieren kann. Aber irgendwie ist bei vielen Verlagen die Angst groß, gute Leistungen einzufordern. Vielleicht bräuchten die auch so eine Katastrophe wie den Brand in Düsseldorf, um alles neu zu überdenken. Wobei der Zustand des Buchhandels eigentlich ja schon schlimm genug ist. Wenn man sie etwas ernster nähme und nicht unterfordert, hätte man auch wieder loyale Leser.
Pflüger: Ich habe während des Satzes ein ums andere Mal Text geändert, manchmal mit dir gemeinsam. Schöne Worte hast du beigetragen, dich immer eingebracht, und ich habe mich gefreut, weil ich gemerkt habe, welchen Spaß es dir bereitet hat. Überhaupt hast du eine ungeheure Energie.
Spiekermann: Ich schreibe ja auch mehr, als ich gestalte. Allerdings keine Belletristik, dafür aber in zwei Sprachen. Ich mache Typografie, weil ich mich für Sprache begeistere.
Pflüger: Eine deiner schönsten Ideen war, die leeren Seiten grau zu machen. Am Anfang war es für mich hauptsächlich ein Sinnbild für die Blindheit meiner Hauptfigur Jenny Aaron. Jetzt, wo das Buch im Handel ist, machen mich Leser darauf aufmerksam, dass diese Seiten ihnen helfen, im Text zu navigieren und die Rückblenden, von denen es ja einige gibt, klar zu erkennen.
Spiekermann: Wir lesen eigentlich nicht das Schwarze (unsere Augen können Schwarz nicht sehen, weil es ja die Abwesenheit von Licht ist), sondern das Weiße. Auch als Schriftgestalter, der ich ja unter anderem bin, gestalte ich das Weiß in und um die Buchstaben. Das Nichts einer schwarzen Seite ist eine Pause, das versteht jeder.
Pflüger: Darum heißt es im Zen: Im Dunkeln sind alle Farben eins.
Spiekermann: Leider kann man im Offsetdruck eine ganze Seite nicht tiefschwarz drucken, weil der Farbauftrag auch die umliegenden Seiten (auf einem Druckbogen liegen acht Seiten nebeneinander und gegenüber) überfärbt hätte. Und anschneiden wollten wir die schwarzen Seiten nicht, weil das Striche im gelben Farbschnitt gegeben hätte.
Pflüger: Einmal haben wir festgestellt, dass die Anführungszeichen zu massiv waren, typografische Schrankwände. Also haben wir die alle kleiner gemacht und vertikal anders verankert. Das war keine große Arbeit, sowas gibt man in die Maske ein und schießt die Änderung einmal durch. Im letzten Lauf habe ich ein Anführungszeichen – eins von 4.555 – gefunden, das einen halben Punkt zu hoch gesetzt ist. Da ist uns was durchgerutscht. Mein erster Impuls war, es anzustreichen, doch dann habe ich es so gelassen. Aaron folgt dem Bushidō und dort heißt es: Perfektion kannst du nur anstreben, aber nie erreichen. So findet sich ihre Philosophie im Buchsatz. Und Innen und Außen sind eins.
Spiekermann: Jedes Buch hat einen Fehler, jedes Druckwerk. Ich bin froh, dass es diesmal so ein kleiner Fehler war, den nur wir beide kennen (jetzt nicht mehr).
Pflüger: Ich beurteile Menschen nicht zuletzt danach, ob sie Fehler zugeben können. Das ist ein verlässlicher Ratgeber. Ich komme ja vom Film, dort ist das ein rares Gut, weil Selbstbewusstsein gern mit Bugwelle verwechselt wird. Ist es nicht lustig, dass wir beide Erfahrungen in dieser Branche gesammelt haben – wenngleich die meinen sicher intensiver waren, denn ich habe ja über viele Jahre hauptsächlich Drehbücher geschrieben.
Spiekermann: Vor Jahrzehnten habe ich Synchrondialoge geschrieben, u. a. für Die Zwei mit Tony Curtis und Roger Moore. Schnell, mit Bargeld auf die Hand. Das war ein tolles Training. Keine Zeit für Bedenken oder gar Alternativen. Einmal hingehört, sofort Sprüche hingerotzt und am Ausgang Geld mitgenommen. Schnell und unter Not, das scheint einer meiner Anschübe zu sein.
Pflüger: Und am Ende finden wir uns bei Suhrkamp wieder. Der Verlag hat mich von Jugend an geprägt. Als ich noch Student und knapp bei Kasse war, habe ich manchmal Bücher geklaut, nach denen ich mich besonders gesehnt habe. Darunter waren nicht wenige von Suhrkamp. Ich hoffe sehr, man zieht mir keine Pauschale von meinem nächsten Vorschuss ab.
Spiekermann: Ich habe noch nie ein Buch geklaut, obwohl ich das zu meiner Studentenzeit (ab 1967) durchaus als »revolutionäre« Tat hätte verbrämen können.
Pflüger: Dass ich bei Suhrkamp gelandet bin, ist offensichtlich kein Zufall. Der Täter kehrt irgendwann zum Ort des Verbrechens zurück, heißt es ja.
Spiekermann: Das erste Suhrkamp-Buch, das ich bewusst gekauft habe, war Homo Faber von Max Frisch, in der Bibliothek Suhrkamp. Weißer Schutzumschlag mit schwarzer Bauchbinde. Die nächsten neun waren aus der Edition, vor allem, weil die von Fleckhaus gestaltet waren und ich von jeder Farbe eins wollte. Damals war ich Student der Anglistik und Kunstgeschichte, da brauchte man das auch zum Angeben.
Pflüger: Zehn Suhrkamp-Bücher, die in meinem Leben wichtig waren:
Hermann Hesse, Der Steppenwolf
Max Frisch, Stiller
Martin Walser, Brandung
Flann O’Brien, Der dritte Polizist
Claude Lévi-Strauss, Traurige Tropen
Ernst Bloch, Tübinger Einleitung in die Philosophie
James Joyce, Ein Porträt des Künstlers als junger Mann
Bertolt Brecht, Gedichte
Nelly Sachs, Gedichte
Jorge Semprùn, Was für ein schöner Sonntag!
Dieser Text erschien zuerst im Logbuch Suhrkamp ★