#23 Braun: eine Jugendsünde wird stilbestimmend.
Meine erste kleine Braun „Anlage“ kaufte ich mir 1968. Einen Verstärker CSV 250 und den Empfänger CE 250. Der passende Plattenspieler kam erst später dazu. Ich war damals Student der Kunstgeschichte und der Preis von DM 800 allein für den Verstärker entsprach einem Monatslohn. Ich hatte aber keinen Monatslohn, sondern schlug mich und meine kleine Familie (unser Sohn kam kurz nach der Braun Anlage dazu) mit meiner kleinen Druckerei und Aufträgen als Grafiker durch. Ich weiss nicht mehr, welche Fabel ich meiner Frau erzählte (die bis heute nicht ahnt, wieviel ich damals ausgegeben hatte) und auch nicht, woher das Geld kam. Den kleinen Laden in Charlottenburg, wo ich die Geräte im Schaufenster gesehen hatte, gibt es schon lange nicht mehr. Aufgeräumte Typografie wie auf einer Braun-Anlage hingegen mache ich immer noch.
Ich weiss noch genau, dass ich so etwas vorher nicht gesehen hatte. Bei meinen Eltern in Bonn stand in den 50ern eine Musiktruhe, wie sie damals üblich war: eine Mischung aus Kontiki-Bambusfloß und Kindersarg aus dunklem, sehr glänzendem Holz. Das passte zur Pussta-Tapete, was ich damals schon fürchterlich fand. Als ungelernter, aber nicht ungeübter Grafiker überzeugten mich die Fronten der Geräte – sie sahen aus wie eine aufgeräumte Prospektseite: man konnte sie lesen. Die Beschriftung aus Akzidenz Grotesk von Berthold passte nach Berlin, denn damals war die H. Berthold AG am Mehringdamm noch eine große Schriftgießerei und ich hatte diese Buchstaben oft in der Hand gehabt.
Mitte der 60er Jahre war das Grafik Design vom Übergang des Bleisatzes zum Fotosatz geprägt. Wie bei jeder neuen Entwicklung waren viele der ersten Versuche in der neuen Technik oft nett gemeint, aber schlecht gemacht. Ungewöhnliche Schriften und Seitenlayouts im Hippy-Stil brachten neuen Wind in die Gestaltung von Werbung und kulturnahen Einrichtungen und manche Anzeigen von japanischen HiFi-Marken versuchten sich in „kreativen“ Äußerungen, aber Braun blieb bei seinem nüchternen Stil, der geprägt war vom Einfluss der Ulmer Schule, sowohl im Produkt- als auch Grafik-Design.
Mir gefiel die Übereinstimmung der „Fassadengestaltung“ der Geräte – also dessen, was wir heute als Interface Design bezeichnen – mit dem Layout der Prospekte und Produktinformationen. Es herrschte die Akzidenz Grotesk im nüchternen Layout mit schmalen, linksbündig gesetzten Spalten (was damals durchaus noch ungewöhnlich war; Flattersatz war sogar im Verdacht, anti-autoritär zu sein!), viel Weißraum und kleinen, sauberen Fotos. Mitunter hätten Produktfotos durchaus etwas größer sein können, aber Anfang der 60er Jahre wurde noch im Buchdruck produziert und Fotos mussten als Klischees geätzt werden, was aufwendig und teuer war, denn sie wurden per Quadratzentimeter berechnet. Farbdruck war noch teurer und ein Luxus, der bei der Darstellung von fast einfarbigen Geräten kaum Mehrwert gebracht hätte. Die gedruckten Seiten waren gewissermaßen die Entsprechung der Gerätefronten: weißes Papier statt Aluminium, knappe Informationen in einer einzigen Schriftgröße und nüchterner Anordnung. Heute, nach vielen Jahrzehnten, erscheint dieser aus den technischen und wirtschaftlichen Bedingungen entstandene Stil wieder erfrischend klar und angemessen.
Lautsprecher von Braun hätte ich auch gerne gehabt, aber das war nicht drin. Wir haben sie uns damals alle selbst gebaut – zum einen, weil das Geld nicht für die von Braun reichte, und zum anderen, weil es einen kleinen Wettbewerb gab zwischen meinen Freunden, die fast alle Musik machten und in Bands spielten. Also zimmerten wir Kisten aus Spanplatten, bauten Pappröhren als Bassausgleich ein und verschraubten Lautsprecher. Ein Kollege von der TU rechnete die Größe der Bass-Reflexröhre aus und wir dachten damals, dass unsere Boxen die tollsten waren. Die größten waren sie auf jeden Fall, denn raffinierte Schaltungen hatten wir nicht, also entsprach die Power dem Volumen. Anders als unsere 100-Watt-Gitarrenverstärker hatten die Braun Geräte ohnehin nur sehr geringe Ausgangsleistungen.
Mit der kleinen Anlage zog ich von Berlin nach London und wieder zurück nach Berlin, wo ich mir allmählich den Ruf als „Braun-Fuzzi“ erwarb. Dabei war ich nie Sammler und kann bis heute nicht alle Typenschilder auswendig. Aber immer wieder tauchte jemand auf, der bei einem Umzug oder auf dem Trödelmarkt ein Braun Gerät gesehen oder sogar schon erworben hatte. Ein Schneewittchensarg war dabei, dann ältere Modelle aus den frühen 60ern, ein Weltempfänger und so fort.
Als dann 1987 die Atelier Serie als letzte Kollektion herauskam, musste ich sie haben. Mit zwei bei Quad überholten LE Elektrostaten bildet sie immer noch die Anlage, die in meinem Heimbüro (sorry: home office) für Klang sorgt. Derweil habe ich einen Kollegen gefunden, der meine sechs Braun-Plattenspieler wiederherstellt und auch die teilweise verharzten Innereien aller Verstärker repariert. Natürlich sind die meisten meiner Braun Geräte in von Dieter Rams entworfenen Vitsoe Regalen untergebracht.
Immer noch überzeugen mich die Geräte durch ihre schlichte, unaufgeregte Aufmachung. Meine Freunde haben noch ihre Marantz-Aquarien oder andere exotischen Japaner, aber ich bleibe bei Braun. Mit Dieter Rams bin ich seit seiner Zeit als Präsident des Rat für Formgebung bekannt und sogar befreundet. Für den Film über ihn von Gary Hustwit führte ich die Interviews (off-camera, wie der Fachmann sagt).
Gerade habe ich mit meinem Kollegen Alex Roth die Schriftfamilie als digitalen Font neu herausgebracht, aus der alle Braun-Prospekte der 60er Jahre gesetzt waren und die als Beschriftung der Frontplatten meinen ersten Eindruck 1968 geprägt hatten: Die Akzidenz Grotesk Serie 57 heißt bei uns Serie57. Für mich hat sich ein Kreis geschlossen. ★
Dieser Artikel ist ein Vorabdruck aus:
Braun erleben, Verlag www.avedition.de
erscheint im Herbst 2024